Es gibt sie noch: verwunschene Plätze, vergessene Orte, vom Leben gezeichnete und doch verlassene Stätten.
Oft sind die menschenlosen Häuser Ruinen, staubverpustete und holzwurmzerfriemelte Erinnerungen längst vergangener Tage, anderer Zeiten, keine Spur von Leben, seelenlos, düster, morbid... Oder ist da nicht doch ein gewisser Zauber, eine vorsichtige Ahnung von all dem, was hier einmal lebte, träumte, hoffte, oder einfach nur – da war?
Diese rote Treppe, die sich elegant und sanft in die höheren Etagen schwingt – die Farbe ist längst weggebröckelt, sie knierzt und knarrt und schwankt. Wer ist hier nicht schon alles gelaufen, wen hat sie nicht schon alle tragen dürfen, müssen? Oder dieser endlose Gang, zerbröselndes Mauerwerk, es riecht muffig und kalt, ein Fenster steht auf. Wer es wohl zum ersten Mal, wer es wohl zum letzten Mal schloss?...
„Wandelwelten“ nennt Nicole Staniewski das, was sie da „hobbymäßig“ mit ihrer Kamera einfängt. „Ich bin kein Profi, ich habe eine ganz normale Spiegelreflexkamera, nur eine kleine Ausrüstung und mache das eigentlich ja nur so für mich, zum Spaß.“ Und irgendwie gelingt es ihr dabei, die, nun sagen wir mal „andere Schönheit der Dinge“ einzufangen. Blaues Meer, weißer Strand, Postkartenidylle – nein, das ist nicht ihr Ding. Lieber dunkle Keller, verlassene Schlösser, ruinöse Maschinenräume...
„Nun, da ist dieser Zauber der Zeit, der mich fasziniert. Alle diese Dinge, die ihrer Ursprünglichkeit beraubt sind. Und die doch so traumhaft schön anzuschauen, zu erfahren sind.“
Todstill, gruselig, aber faszinierend
Ihre Motivstreifzüge führen die Uedemerin durch ganz Europa – mit Rucksack und Wanderstiefeln – immer auf der Suche nach lost places, verlorenen Orte. Ein versteckt liegendes, ehemaliges Sanatorium in der Schweiz, eine ausgestorbene Lungenheilanstalt in Italien, ein seit Generationen unbewohntes Château in Belgien, die todstillen Maschinenhallen des Kraftwerks Vockenrode.
Oder das Heimetli in der Schweiz, ein scheinbar über Nacht von seinen Bewohnern verlassenes kleines Häuschen irgendwo in den Schweizer Bergen. Seit Jahren unbewohnt, doch die Türen sind nicht verschlossen, das Nachthemd liegt ordentlich zusammengelegt auf dem Bett, die Hausschuhe davor, ein aufgeschlagenes Buch auf der Kommode. Das Licht kämpft sich mit seltsamen Mustern durch die Spinnwebenwände, an den Holzbeinen der Stühle haben sich zentimeterhohe Häufchen gebildet – die Arbeit von Generationen von Holzwürmern. „Fast wagt man nicht, zu atmen, alles ist still, erhaben.“
Nicole Staniewski weiß, dass ihr Hobby etwas, nun sagen wir, skurril, scheint. „Ich kann mich der seltsam-mitreißenden Atmosphäre dieser Orte gar nicht entziehen. Ich genieße die Stille, die Anwesenheit an solchen Orten und vor allem das Licht, das alles in unvergleichliche Stimmungen taucht. Ich möchte den Betrachter entführen in eine andere Welt, an Orte, die in tiefem Dornröschenschlaf schlummern, als wäre die Zeit stehengeblieben.“
Und doch, wenn man so ein düsteres, verlassenes Gemäuer betritt, so ganz wohl ist da auch Nicole Stanieswski nicht. „Ja klar, manchmal ist das echt auch gruselig. Manchmal spüre ich auch: Jetzt ist es Zeit zu gehen.“
Gibt es einen Lieblingsort? „Hm“, sagt die 47-Jährige. „Mehrere. Auf jeden Fall die Beelitz Heilstätten in Brandenburg. Unzählige Gänge und Flure, Räume über Räume, wundervolle Treppenhäuser, Auf- und Abgänge, nicht enden wollende Motive. Hier kann man sich verlieren, eintauchen, man kann sich verlieben in diese wundervolle Architektur.“
Und nach einer kleinen Pause mit einem Augenzwinkern: „Aber das kann man auch an Orten am Niederrhein.